Die Union setzt sich mit ihrem härteren Kurs in der Migrationspolitik endgültig von Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ab. Der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder widersprach bei Maischberger dem berühmtesten Zitat Merkels. SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi riet Kanzler Friedrich Merz (CDU) zu einer schnellen Reise nach Moskau, um im Ukraine-Krieg zu vermitteln.

Eine TV-Nachlese
Diese TV-Nachlese gibt die persönliche Sicht von Thomas Fritz auf die Debatte und den Auftritt der Gäste wieder. Sie basiert auf eigenen Eindrücken und ordnet das Geschehen journalistisch ein. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Thema der Runde

Die Migrationspolitik gehört zu den wichtigsten Themen der frisch gewählten deutschen Bundesregierung – so auch bei Maischberger am Mittwochabend. Ein weiterer Schwerpunkt war der Krieg in der Ukraine, zu dem sich der langjährige SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi ausführlich äußerte.

Die Gäste

Markus Söder (CSU): Der bayerische Ministerpräsident berichtete nach dem ersten Koalitionsausschuss von "einem guten Gefühl in dieser Koalition", von Grundvertrauen und einer vertraulichen Atmosphäre. Später rechnete Söder mit Merkels Migrationspolitik ab: "Wir sind im Land überfordert von den Migrationsleistungen. Wir haben es nicht geschafft. Die Kosten sind enorm." In Polen seien 80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in Arbeit, hier nur 20 Prozent – wegen des Bürgergelds, kritisierte Söder.

Béla Réthy: Der Sportjournalist nannte das geplante Aussetzen des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte einen "Schnellschuss", ein bloßes Symbol. Dass Friedrich Merz in seiner Erklärung über die militärische Unterstützung der Ukraine das Wort Taurus gescheut habe, wunderte Réthy nicht. Es könnte damit zusammenhängen, dass vielleicht deutsche Soldaten helfen müssten, den Marschflugkörper zu bedienen – was als direktes Eingreifen in den Konflikt gelten könnte.

Dagmar Rosenfeld: Die Herausgeberin von Media Pioneer ist gespannt, wie viel von der anfänglichen Koalitions-Harmonie noch da sein wird, wenn Union und SPD an die schweren Themen herangehen müssen – wie den Umbau der sozialen Sicherungssysteme. Den kritischeren Merz-Kurs gegenüber Israel findet Rosenfeld richtig, dennoch bleibe aufgrund des Holocaust eine hohe Verantwortung für das Land. "Deutschland kann keine Ultimaten an Israel stellen", so Rosenfeld, wie es Kanada oder Frankreich aufgrund des brutalen Gaza-Kriegs getan haben.

Sonja Zekri: Die Kulturkorrespondentin der Süddeutsche Zeitung bemängelt die Abwesenheit von Frauen im Koalitionsausschuss. "Wir sind jetzt wieder im Jahr 1961, als die erste deutsche Ministerin wurde."

Der Special Guest

Klaus von Dohnanyi: Für den langjährigen SPD-Spitzenpolitiker und ehemaligen Hamburger Bürgermeister ist Willy Brandt der größte Kanzler in der Geschichte der BRD. Ob Friedrich Merz das Zeug hat, ein großer Kanzler zu werden, wollte von Dohnanyi nicht sagen. "Ich kann es nicht beurteilen, man wird es sehen."

Trumps unorthodoxe Rolle als Vermittler im Ukraine-Krieg sah der frühere Bundesminister ambivalent. "Er hat ja noch keinen Erfolg damit. Wenn er Erfolg damit hat, wäre ich ihm sehr dankbar. Wir brauchen Frieden." Das Problem: Die Lage sei im Grunde genommen "fast unlösbar". Russland wolle eine schwache, unselbstständige Ukraine außerhalb der NATO, die Ukraine wolle ein starkes Land sein, in einem sicheren Militärbündnis. "Beide müssen nachgeben", sagte Dohnanyi. Als Lösung schlug er Bestimmungen wie für das geteilte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vor. "Man anerkennt den Status quo, ohne zu sagen, dass er so bleiben muss."

Von Dohnanyi gab Merz den Rat, nach Moskau zu fahren und nicht zu warten, bis die Amerikaner "um ein Stück Europa verhandeln". Den Satz seines Parteigenossen Boris Pistorius zur Kriegstüchtigkeit fand er unvollständig. "Wir müssen friedenstüchtig sein." Um das zu gewährleisten, ist in seinen Augen ein starkes Militär die Basis. Wichtig ist für von Dohnanyi auch das Verständnis, in alter SPD-Tradition Russlands Sicherheitsinteressen zu verstehen. Das schließt nicht aus, Russland als Gegner zu sehen. "Das ist doch gar kein Zweifel. Die haben die Ukraine angegriffen."

Die Lage in den USA unter Trump mit seinen autoritären Tendenzen findet von Dohnanyi ebenfalls gefährlich. Von wem geht die größere Gefahr aus – Trump oder Putin? "Es gibt eigentlich nur eine große Gefahr", sagte der 96-Jährige etwas überraschend. "Das ist der Klimawandel. Der Klimawandel wird dramatisch werden."

Das Wortgefecht des Abends

Sonja Zekri ist ganz sicher, dass hinter Entscheidungen wie jener, den Familiennachzug auszusetzen, immer eine politische Motivation steht. "Eigentlich geht es immer nur um die AfD." Dagmar Rosenfeld will das so nicht stehen lassen. Es gehe bei der Verschärfung der Migrationsgesetze nicht nur um die Schwächung der AfD, widersprach sie, "sondern um reale Probleme: die Überforderung der Kommunen und Gemeinden", Zekri reagiert ein wenig spöttisch. Es sei schön, dass die Bürgermeister in Deutschland nun von jedem gehört würden. Aber inhaltlich rückte sie nicht von ihrer Einschätzung ab.

Die Offenbarung des Abends

Was ist das Geheimnis hinter einem biblischen Alter von 96 Jahren? Wer ein paar Gesundheitstipps von Klaus von Dohnanyi erwartet hatte, wurde enttäuscht. "Ich halte mich nicht fit", sagte er schmunzelnd. Maischberger lachte. "Es ist kein Verdienst von mir. Ich möchte mir da wenig zuschreiben, was meine Gesundheit bis heute erhalten hat." In ein paar Wochen feiert Dohnanyi seinen 97. Geburtstag. Wie kommt ihm diese Zahl vor? "Die kommt mir eher erschreckend vor. Aus einem ganz einfachen Grund. Weil ich nicht annehme, dass ich 102 werde. Es ist erschreckend, dass man nur noch so ein kurzes Leben vor sich hat."

Der Erkenntnisgewinn

Markus Söder brachte seine Merkel-Kritik ("Wir haben es nicht geschafft") so beiläufig unter, dass es nicht mal Sandra Maischberger auffiel. Dafür blühte die Moderatorin im Gespräch mit SPD-Grandseigneur Klaus von Dohnanyi auf. Man fühlte sich an ihre früheren Interviewreihen mit Altkanzler Helmut Schmidt erinnert, der bis ins ganz hohe Alter schlaue Sätze am Fließband absonderte. Fazit: Ein Mittwochstalk mit Retro-Charme.